Eine FIAA-Analyse der bedeutendsten vier Fußballligen in Europa zeigt Wirkung und Nutzen der 3-Punkte Regel auf. Obwohl es keine eindeutigen Effekte quer durch die europäischen Top-Ligen gibt, wird seit ihrer Einführung am 3-Punkte System festgehalten. Aus heutiger Sicht sind die großen Vereine der jeweiligen Liga die Nutznießer. Nur vermögende Teams vermögen viele Tore zu schießen.
Football Is All About (kurz FIAA) hat sich die Frage gestellt, was die 3-Punkte Regel in den Top-Ligen Europas bringt, welche Auswirkungen es bei ihrer Einführung gegeben hat, und wer die Nutznießer aus heutiger Sicht sind. Dabei sind wir auf spannende länderübergreifende Entwicklungen in England, Spanien, Deutschland und Italien gestoßen. Entwicklungen, die Unterschiede zwischen den Teams deutlicher machen. Entwicklungen, die Landesverbände (wie auch die UEFA) zum Nachdenken bringen könnten, ob nicht doch 2 Punkte für einen Meisterschaftssieg das bessere Zählsystem für eine Liga wäre.
Die Fußballverbände sind jedenfalls gut beraten, darüber zu reflektieren, was sie zur Umstellung vom 2- zum 3-Punkte-System bewogen hat, und welche Erwartungen man daran knüpfte. „Wenn man sich nicht erinnert, was man wollte, macht der Zustand, den man erreicht hat, keinen Unterschied“, sagt der Organisationssoziologe Dirk Baecker. Das hat was.
Zur Erinnerung: die 3-Punkte Regel wurde im Fußball eingeführt, damit die Teams, hier vor allem vermeintlich schwächere Teams , einen größeren Ansporn haben, tatsächlich auf Sieg zu spielen und sich weniger häufig mit einem Unentschieden zufrieden zu geben. Erhofft hat man sich zudem attraktivere Spiele mit mehr Toren. Es war erwünscht die Anzahl der Unentschieden, insbesondere das scheinbar unattraktivste aller Ergebnisse – ein torloses 0:0 – möglichst zu reduzieren.
England hatte als erstes Land in Europa die 3-Punkte Regel in ihrer obersten Spielklasse in der Saison 1982/83 eingeführt. Italien folgte 1994/95, Deutschland und Spanien 1995/1996. Die Fußball WM 1994 in den USA war die erste, in der die Gruppenphase nach dem 3-Punkte System gespielt wurde.
Grafik 1
In unserer FIAA-Analyse legten wir den Fokus auf die obersten Spielklassen in England, Spanien, Italien und Deutschland. Als Gradmesser für die Effekte der Einführung der 3-Punkte Regel dienten uns die Parameter Tore je Spiel, Anzahl und Verhältnis von Siegspielen und Unentschieden, sowie die Entwicklung der 0:0 Spielausgänge. Wir richteten den Blick auf die jeweils letzten 5 Spielsaisonen, wo Meister und Tabellenrang noch nach dem 2-Punkte System ermittelt wurden, und verglichen sie mit den ersten fünf Saisonen in der neuen 3-Punkte Zählweise. Dabei ging es keineswegs darum festzustellen, wer in der jeweiligen Saison welchen Platz in der Tabelle belegt hätte, wenn anders gezählt worden wäre. Vielmehr interessierte uns, welche Änderungen im Attraktivitätsgrad von Fußballspielen durch das 3-Punkte System stattfinden. Weil die Einführung der 3-Punkte Regel schon länger zurück liegt und auch zu (teilweise recht deutlichen) unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgte, hat uns zu Vergleichszwecken die aktuelle Entwicklung in den vier Top-Ligen interessiert. Daher haben wir auch die fünf Saisonen 2011/12 bis 2015/16 genauer unter die Lupe genommen.
Natürlich hat jede der vier Top-Ligen ihre Charakteristika, zudem gelten eigene „ungeschriebene“ Gesetze, und Selbst- und Fremdwahrnehmung der obersten nationalen Liga werden wohl auch von europäischen Wettbewerbsvergleichen geprägt. Die wenigen Parameter, die wir für die Analyse der Entwicklung durch die angewandte 3-Punkte Regel herangezogen haben, beleuchten nur einen Teil des Gesamtbildes. Dennoch halten wir sie für die essenziellsten Vergleichsfaktoren. Sportwissenschaftler sind aufgefordert, umfangreichere Analysen zu 3-Punkte Thematik zu publizieren.
Die 3-Punkte Effekte bei der Einführung
Wir konnten quer über die vier Top-Ligen feststellen, dass einheitliche Effekte kaum vorliegen. Eine Auswirkung war trotzdem überall abzulesen: der Anteil der torlosen Spiele ist zurückgegangen. Wenngleich der Reduktionsgrad unterschiedlich ist, und man über die Effektgröße und ihre Wirkungskraft diskutieren kann. Aber das ist ja schon mal ein Ergebnis in die gewünschte Richtung.
Die Anzahl der Unentschieden generell ist in England und vor allem in Italien stark zurückgegangen, in Deutschland nur leicht und in Spanien gleich geblieben. Umgekehrt bedeutet es, dass es in England und Italien deutlich mehr Siegspiele in den ersten 5 Saisonen mit der 3-Punkte Regel gab, ein weiterer erwünschter Effekt ist dort somit eingetreten.
Ernüchterung ist angesagt, wenn es um den Attraktivitätsgradmesser „Anzahl der Tore je Spiel“ geht. In Spanien und Deutschland gab es keinerlei Auswirkung. Im 2-Punkte System wurden gleich viel Tore geschossen wie nach dem neuen 3-Punkte System. In England gab es einen leichten Anstieg (statt 2,6 wurden 2,7 Tore je Spiel erzielt). In Italien hingegen gab es einen deutlichen Anstieg an erzielten Toren.
Insgesamt sind demnach in der Serie A in Italien die erwünschten allgemeinen Effekte der 3 Punkte Regel ziemlich genau eingetreten sind. In England sind diese erwarteten Effekte schon weniger deutlich. In Spanien und Deutschland deuten lediglich etwas weniger „0:0“-Partien auf Veränderungen im erwarteten Sinne hin.
Entwicklung 20-30 Jahre nach Einführung der 3-Punkte Regel
Für diesen Vergleich haben wir die 5 Spielsaisonen 2011/12 bis 2015/16 herangezogen. Siehe da, die torlosen Spiele sind in allen vier Ligen einheitlich weiter zurückgegangen – obwohl es keine Änderung gab, also weiterhin nach der 3-Punkte Regel gespielt worden ist. Der Anteil der Siegspiele ist in Deutschland und Spanien stark, in Italien leicht gestiegen. Nur in England blieb die Sieg-Unentschieden-Quote gleich.
In England sind die geschossenen Tore je Spiel zurückgegangen. Mit 2,5 Toren je Spiel sind sogar weniger Tore als in der letzten Phase der 2-Punkte Regel geschossen worden. Auch Italien verzeichnete weniger Tore je Spiel. In Deutschland ist alles beim Alten geblieben – 2,9 Tore je Spiel. Spanien hingegen erlebte einen sprunghaften Anstieg von durchschnittlich 2,7 auf 3,1 Tore je Spiel. Das ist deutlich. „No-Na“, könnte man ausrufen. Denn dort stürmen ja auch Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, sie allein machen den Unterschied aus. Was Benzema, Bale, Suárez, Neymar, Griezmann, Aduriz, Bacca, Costa, Sánchez, Falcao, Negredo, Higuain, etc. dazu wohl sagen würden, ist eine andere Geschichte. Aber unabhängig davon zeigt dieser Aufwärtstrend in Spanien genau das, was in allen vier europäischen Topligen seit der Einführung der 3-Punkte Regel Gang und Gäbe ist: nur die Top Teams schießen mehr Tore als vor der 3-Punkte Regel.
Betrachten wir Grafik 2 genauer. Achten Sie bitte besonders auf die Entwicklung der jeweiligen Meister, der drei besten Teams – im Vergleich zu den drei schlechtesten Teams (also meist die Absteiger).
Grafik 2
Wenn man behaupten kann, mit der 3-Punkte Regel sei das Fußballspiel attraktiver geworden, weil die Unentschieden, speziell das torlose Remis, abgenommen haben, dann muss man anhand der Zahlen auch behaupten können, durch die 3-Punkte Regel klafft die Schere der besten und schlechtesten Teams in der Liga auseinander. Denn die schwächsten Teams können eines nicht – mehr Tore schießen. Sie verharren auf ihrem Niveau, unabhängig davon, wer in einer bestimmten Saison zu den Absteigern zählt. Währenddessen schaffen es die Top Teams – das sind zumeist dieselben Vereine – selbst bei gesamt betrachtet sinkendem Torschnitt, wie in England oder Italien, noch mehr Tore zu erzielen.
Dieser Effekt ist evident. Ob gewollt, oder ungewollt. Dieses Resultat widerspricht gewaltig einem zentralen Argument für die Einführung der 3-Punkte Regel vor über 30 Jahren in England. Die vermeintlich schwächeren Teams sollten einen höheren Anreiz bekommen, auf Sieg zu spielen, da 3 Punkte in der Tabelle deutlich mehr Wert haben als 2 – oder eben gar nur 1 Punkt im Falle eines Unentschiedens. Allein, sie können nicht mehr Spiele gewinnen. Sie können eben nicht mehr Tore schießen. Es fehlt ihnen sowohl physisch, als auch technisch wie spielerisch das Vermögen dazu. Und es ist nicht zu übersehen, dass sie auch monetär nicht über die notwendigen Mittel verfügen. Die Top-Mannschaften eine Liga hingegen verfügen über die Fähigkeiten, um aus beispielsweise einem 0:0 in der Nachspielzeit noch ein 1:0 zu machen, oder umgekehrt ein 1:0 zu halten. Oder sogar noch weitere Tore zu schießen. Die Top-Mannschaften einer Liga verfügen auch über die besseren Angreifer. Genau für diese Spieler, die auch Tore schießen können bzw. Torchancen herausspielen können, wird im Regelfall auch das meiste Geld bei Spielerverpflichtungen investiert.
Geld schießt Tore. Ein Fußballklub mit mehr Geld wird vom 3-Punkte System in stärkerem Ausmaß belohnt als im 2-Punkte System. In der Folge wächst die Kluft zwischen den besten und schlechtesten Teams innerhalb der europäischen Top-Ligen. Die großen (evtl. bereits vermögenden) Clubs profitieren ungleich davon. Sie werden daher innerhalb der eigenen Landesverbände kaum auf eine Regeländerung – etwa ein ‘Zurück zu einem 2-Punkte System’ – drängen. Gut möglich, dass in absehbarer Zeit aus dieser Richtung sogar eine Einführung auf 4 Punkte für einen Sieg argumentiert wird.
Selbstverständlich ist nicht jede Veränderung im Fußball bzw. nicht alle Verschiebungen bestimmter Resultate auf die Einführung des 3-Punkte Systems zurückzuführen. Die FIAA-Analyse zeigt jedoch deutlich auf, dass es, wenn überhaupt, ligaübergreifend zwar zu einer Reduktion der torlosen Unentschieden gekommen ist, gleichzeitig aber auch die besten Teams stärker von den 3 Punkten profitieren.
Man könnte sogar so weit gehen, die Dominanz der besten Fußballteams auch darauf zurückzuführen. Die Mechanismen des 3-Punkte Systems verhelfen den besten Teams zu mehr Toren, daher werden sie wahrscheinlicher (wieder) die Meisterschaft gewinnen. Bayern München ist in den letzten 20 Jahren 13 mal Meister geworden, in den letzten 5 Jahren 5 mal. Juventus Turin hat die letzten 6 Meistertitel in Italien geholt etc.
Die 3-Punkte Regel hat also schon auch zu Strukturveränderungen im europäischen Ligafußball geführt. Wenn die Wechselwirkung mit anderen Faktoren jedoch ein System mit ungleichen Startvoraussetzungen schafft, sollte man das bestehende Punktesystem in Meisterschaften weiter anpassen.
So lang das Publikumsinteresse in einer Fußballliga zufriedenstellend groß bleibt, wird es kaum Regeladaptionen geben. Auch nicht, wenn angesichts der exorbitant gestiegenen Spielerablösen und -gehälter die Rufe nach neuen Reglementierungen lauter werden. Eine Liga, die für mehr Chancengleichheit ihrer Teams eintritt, sollte neben einer Deckelung von Transfersummen auch über die Änderung der 3-Punkte Regel nachdenken. Gut möglich, dass dabei die Wiedereinführung 2-Punktesystem gewinnbringend ist.