TV-Einblicke zum Champions League-Achtelfinale im März 2016 zwischen FC Bayern München und Juventus Turin
2 Spiele, eine Mannschaft kommt weiter. Die Regeln in Ausscheidungsspielen sind bekannt.
Erstes Match in Turin:
Die Bayern spielen in den ersten 45 Minuten die Gastgeber förmlich an die Wand. Die Mannschaft ist mit dem Ball wesentlich schneller und agiler als der Gegner ohne Ball. Die „Alte-Dame-Jugend“ muss nachlaufen und hat dabei kaum Balleroberungen. Den Bayern gelingt ein müheloses 1:0 bis zur Halbzeit, dank eines glänzend postierten Thomas Müller und einer Mannschaftsdynamik, die seinesgleichen derzeit wahrscheinlich nur bei Barcelona oder Real zu finden ist.
Ich schau mir speziell David Alaba an. Österreichs bester Fußballer mit 23 seit Matthias Sindelar. Bekanntlich ist er mal von Bayern-Trainer Guardiola als „unser Gott“ bezeichnet worden. Zur Belohnung spielt Alaba immer auf der Position, die ihm sein Trainer vorschreibt. Aus Mangel an gesunden Innenverteidigern spielt Alaba nun seit ein paar Partien Innenverteidiger.
Früher hätte man gesagt, es gibt einen Stopper und einen Vorstopper. Im moderneren Fußball gibt’s diese Bezeichnungen nicht mehr. Daher ist Alaba nun einfach Innenverteidiger. Eine Position, die er international überhaupt noch nie gespielt hat. Bis jetzt. Zusammen mit Joshua Kimmich. Der ist ebenso gelernter Mittelfeldspieler. Beide sind nicht sehr groß. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind Innenverteidiger meist große Lackel. Also eine im Vorfeld zu dieser CL-Achtelfinalbegegnung vieldiskutierte Überraschungsaufstellung.
Unser Gott und seine Haberer
Und Alaba macht seine Aufgabe gewohnt gut. Ohne viel Schnörkel. Spielt einfache Pässe. Er ist nicht der Allerschnellste, seine Spielintelligenz und sein Timing erlauben es ihm aber zumeist rechtzeitig am Ball zu sein und somit sogar gefährliche Situationen auch mit dem Kopf zu klären. Und er ist immer wieder vorne zu finden. Wie macht er das, der Alaba? Nach ein paar Minuten ist deutlich zu erkennen, wie das funktioniert. Arturo Vidal bleibt nämlich hinten. Nach einer halben Stunde ist klar: die spielen mit 3 Innenverteidigern, nicht mit zwei. Im alten Fußball müsste es also heißen: Stopper – Vorstopper – Vor-Vorstopper. Hat es natürlich nie gegeben. Vidal spielt aber auch keinen 6er, wie man vermuten könnte. Er spielt wirklich Innenverteidiger. Wenn es denn etwas zu verteidigen gibt. Und wenn Bayern offensiv agiert, bleibt überraschenderweise Vidal mehrfach hinten (also 2 Innenverteidiger sind immer da) und Alaba geht mit nach vorn. Also wenn schon überhaupt, dann wäre Alaba der 6er. Flexibel muss man bei Guardiola sein. Und Alaba ist es nicht allein. Vidal ist es genauso.
Ein System, das prima funktioniert. Die Bayern schießen locker das 2:0. Sie scheinen alles im Griff zu haben. Scheinen. Urplötzlich entsinnt sich die Alte Dame ihrer Jugend und es gelingt der Anschlusstreffer (63‘). Kurz darauf sogar der Ausgleich. Also funktioniert das System doch nicht wirklich mit 3 Innenverteidigern, könnte man meinen. Es ist allerdings einiges passiert. Juventus begreift, dass Bayern im Zentrum zumindest phasenweise ein Loch im Mittelfeld hat, und wenn man diese Lücke füllt, kann man mehr Druck ausüben. Interessanterweise führt das wiederum zur Auflösung des Dritten Innenverteidigers bei den Bayern. Indem man den 6er, wie üblich, wieder besetzt gerät man ins Schleudern.
Rückspiel in München:
Wieder eine neue Aufstellung in der Verteidigung. Kimmich mit Benatia als Innenverteidiger und Alaba in der für ihn gewohnten Position des Linken Außendeckers (Bezeichnung alte Schule!). Noch dazu beginnt sein Haberer Ribery auf der linken Seite im Mittelfeld, und nicht Costa, wie beim Hinspiel. Sein zweiter Busenfreund und bei Guardiola vielleicht der „Heilige Geist“ – Arturo Vidal –spielt diesmal 6er. Einen doppelten 6er eigentlich, gemeinsam mit Xabi Alonso.
Irgendwie funktioniert das gar nicht. Niemand würde auf die Idee kommen, das System (die Aufstellung) des Meistertrainers in Frage zu stellen. Denn es passieren offensichtlich haarsträubende Fehler in der Verteidigung. Und unser Gott Alaba begeht einen krassen Schnitzer, der in Kette der nachfolgenden Stellungsfehler der Bayern zum 0:1 führt.
Das Spannende passiert aber nach diesem Tor. Unser Gott begibt sich auf Libero-Position. Er spielt sich sozusagen frei. Heißt, er ist plötzlich überall, auch wenn der Ball nicht gerade dort ist, wo überall ist. Nur auf seiner Links-Verteidiger-Position ist er bloß ab und an zu sehen. Aber überall heißt dan eben auch auf der Position des Mittelstürmers. Es gibt Bilder, da sieht man Lewandowski links außen und Alaba noch vor ihm im Zentrum. Was macht der Alaba dort? Tut er das von sich aus, oder war das sogar eine taktische Anweisung von Guardiola? Wenn er sich mit seinen zwei Haberer am Feld blind versteht, die seine Lücken prompt füllen, so ist das mit der ganzen Mannschaft, selbst wenn es echte 11 Freunde sein sollten, nicht mehr so leicht. Und Lewandowski weiß plötzlich nicht, was er mit Alaba im Zentrum ganz vorne anfangen soll. Sieht also nicht so aus, als wäre er mit den Anweisungen des Chefs, so es die gibt, vertraut. Vielleicht hat (oder ist) er auch ein(en) „anderen(r) Gott“.
Und was passiert? Alaba verliert knapp vor Buffons 16er, in Mittelstürmerposition also, den Ball an den Mittelstürmer des Gegners. Dieser Morata läuft mit der Kugel übers ganze Feld, lässt den nachlaufenden 23-Jährigen Alaba alt aussehen, überspielt dabei noch drei weitere Bayern (die sehen noch älter aus). Die aber scheinen sich allesamt zu denken, der unechte Mittelstürmer soll doch dem echten Mittelstürmer die Wuchtl wieder abnehmen. Und weil Morata selbst nicht so engstirnig denkt, scheibt er das Leder ideal zu Cuadrado, der den neuen Innenverteidiger Benatia samt Neuer mit einem Haken auszutricksen weiß: Bumm – 0:2. Unser Gott Mittelstürmer kehrt reumütig auf seine Links-Verteidiger-Position zurück, besinnt sich eines Besseren. Bleibt aber, wie die gesamte Hintermannschaft, einschließlich des Welttormanns in diesem Spiel ungewohnt fehlerhaft. Der Ball wäre zum 0:3 eigentlich schon im Tor, träfe das Schiedsrichterteam nicht eine eklatante Fehlentscheidung.
Doppelgänger spielt Hase und Igel
Nach der Pause folgt die Umstellung. Der Chef kann ja unseren Gott nicht bestrafen und lässt dafür Benatia umziehen. Alaba spielt nun wieder Innenverteidiger. Das hat sich ja gegen die Alte-Dame-Jugend schon einmal bewährt. Bernat geht auf Links-Verteidiger-Position. Alaba spielt – auf Anweisung von Guardiola, Lewandowski oder auch einem seiner Haberer – den stockkonservativen Innenverteidiger. Sein Spiel sieht eher langweilig aus, er agiert weniger fehleranfällig, das Passspiel ist besser. Und dank Müller, von Coman bestens vorgelegt, kommen sie schließlich in die Verlängerung. Dort folgen noch weitere 2 Tore, auch dank des zweiten Alaba. Denn der Coman hat die gleiche Frisur wie unser Gott Alaba und sieht ihm von hinten jedenfalls verdammt ähnlich (oder vice versa). Der eine spielt mit Rückennummer 27, der andere mit 29. Der eine spielt jetzt wieder Innenverteidiger, der andere Rechter Flügel. Diese Tatsache der plötzlich doppelten göttlichen Erscheinung lässt Juve-Spieler verzweifelnd denken: was macht der schon wieder da? Praktisch Hase und Igel. Juve ist der Hase und der Alaba ist überall. Unser Gott ist eben allgegenwärtig und Guardiola hat in Form von Coman (übrigens ausgeliehen von Juventus!) einen perfekten Clou gelandet. Spielentscheidend. Ob echter oder unechter Alaba, gleichviel.
(Text vom 18.3.2016, kurz nach Verfassen dieses Artikels wurde bekannt, dass David Alaba bei Bayern München bis 2021 verlängert. Das kann auch manches zur Spielweise erklären.)